ANDRE MAROSE
Artwork
UNDERWEAR
Magazine, 8 pages, 21 x 30 cm, unlimited edition, Berlin 2005
Nike by Hedi Slimane

Von 1999 an bekam der Chefdesigner von Dior Homme, Hedi Slimane, ein Studio in den KW – Institute for Contemporary Art zur Verfügung gestellt. Zum Abschied stellte er dort im Sommer 2003 sein Berlin-Buch vor. Zumeist Fotos von jungen berliner Punks, die fast unverändert übernommen auch das Erscheinungs-bild der damaligen Dior Homme-Kampagnen prägten.

Zu dieser Zeit kam es häufiger vor, daß immer wieder Geräte aus den Ausstellungen von Gangs entwendet wurden. Eines Tages wurden zwei Jungen aufgegriffen. Vielleicht 15, glatter, dunkler Teint, auf der Oberlippe Bartflaum. Cap, Trainers, Tasche: alles Nike. Offen-sichtlich ertappt, wurden sie in das Büro gebracht. Sie wurden von der Stelle weg gecastet, denn auch Hedi´s Assistentin hatte den Vorfall beobachtet. Testshooting in Paris, Flug und Hotel frei, plus Taschengeld wurden geboten.

Die Jungs hatten wahrscheinlich mit allem gerechnet aber nicht mit so etwas. Sie waren durch unfaßbare Umstände von ihrem Stolz getrennt worden, den sie nun unbedingt, unter Wahrung ihres Gesichts, wieder zu erreichen suchten. Sie standen quasi nakt da. Ich erinnere mich vor allem an das Gesicht des einen, wie es immer wieder vom Versuch, das coole Streetkid zu geben in das eines scheuen Jungen wechselte. Polaroids wurden gemacht und die Telefonnummern aufgenommen (nicht zuletzt wegen der Diebstähle). Als die beiden draußen waren, meinte die Assistentin, daß sie wohl doch nicht die Richtigen seien.

Etwas mehr als ein Jahr später wurde das Gesicht, daß in der kommenden Saison Nike repräsentieren soll, im Hof der KW entdeckt.
Jil Sander in Ipwege

Über Ipwege ist nicht viel zu erfahren. Ich kenne es nur aus C's sporadischen Erzählungen. Ein Nest am Ende einer Straße, einige Höfe, und eigentlich nur der Fortsatz einer anderen kleinen Gemeinde im Ostfriesischen. Sie hatte ein Foto vom Hof ihrer Familie. Ein Haus in einem Feld, zwei große Scheunen, dahinter nichts. Ihr Vater war dafür in die Krone eines uralten Baumes gestiegen. Manchmal – als wir schon ein Paar waren – telefonierten wir miteinander während sie in der Scheune saß und mit den Hofkatzen spielte.

Zum ersten mal begegnet bin ich C. bei einem Shooting für eine befreundete Pariser Modedesignerin. Eine Kollektion für Männer und Frauen, simples Setting: ein Mädchen, ein Junge, die sich die Sachen von einem Kleiderständer nehmen, probieren, die Looks immer wieder wechseln. Nach vier langen Stunden war das Thema ausgereizt. Die beiden anderen verschwanden. Doch wir wollten noch eine letzte Serie fotografieren, vielleicht noch einmal die entstandene Nähe und Vertrautheit auskosten. Sie trug ein Unterhemd, Strumpfhose und Pumps vom Shooting. Ganz in Blau (das teuflisch leuchtete), schien sie mich zu mustern. Ein Foto hielt den Moment fest, in dem wir uns ineinander verliebten. Wir trugen ihn mit uns und ein halbes Jahr verging bis wir uns wiederbegegneten; und zueinander fanden.

Wenn ich an Jil Sander denke, denke ich an Ipwege, die Vorstellung von einem schlichten Ort, der gerade bietet, was man zum Leben braucht, und wahrscheinlich genau deshalb Luxus darstellt, an ein herbes, blondes Mädchen, dem ich einmal sehr nah sein durfte und an etwas, das schlicht 'geliebt zu werden' bedeutet.

So weit bekannt, lebt Jil Sander, nachdem sie zum zweiten mal ihr Label verlassen mußte, zurückgezogen in ihrem schneeweißen Hamburger Stadthaus und auf einem Holsteiner Gut, wo sie Kräuter und Narzissen pflanzt.